Das Vorbereitungsseminar diente nicht nur dazu, Fragen zum Freiwilligendienst zu beantworten und Infos zu erhalten, sondern hat mich vor allem mental meinem Auslandsjahr näher gebracht. Gefühlt werde ich in wenigen Tagen ausfliegen und allzu lange ist es tatsächlich nicht mehr hin.
Anfahrt und erster Tag
Nach einer langen Anfahrt in das sehr abgelegene Pfadfinderdorf hatte ich bereits am ersten Abend die Gelegenheit, mich mit anderen Freiwilligen auszutauschen. Es hat sehr gut getan, Leute kennenzulernen, die gerade in der genau gleichen Situation sind wie ich. Wir alle sind aufgeregt, haben Fragen über Ecuador und unseren Alltag dort, freuen uns schon und schlagen uns zur Zeit mit Dingen wie Visum, Impfungen und Packlisten herum. Vielleicht liegt es an dem Mindset, welches man braucht, um ein Jahr lang in einem fremden Land ehrenamtlich tätig zu sein, aber alle hier waren super sympathisch. Wir hatten die Möglichkeit zu zelten und ich war eine von vier Leuten, die diese Option genutzt hat. Am ersten Morgen bin ich dann von einem Gewitter aufgewacht und musste feststellen, dass das Zelt nicht mehr das dichteste ist. Zum Glück konnte ich das Problem später beheben, indem ich Müllbeutel zerschnitten und als dritte Plane genutzt habe. Die nächsten Schauer haben mich nicht mehr getroffen…

Der erste richtige Seminartag war sehr voll. Neben einigen Kennenlernspielen war vor allem die Organisation ein riesiges Thema. Das Seminar beruht auf einem halboffenen Konzept und wurde von uns Teilnehmenden mit gestaltet. Wir haben Themen eingebracht, in offenen Teams die Tagesabläufe geplant und Dinge wie den Küchen- und Putzdienst sowie die Freizeitaktivitäten selbst organisiert. Das war einerseits cool, hat andererseits jedoch viel Zeit und Absprachen benötigt. Vor allem am ersten Tag war das Ganze recht erschlagend, wir hatten erst abends frei und sind mit Kopfschmerzen aus dem Seminar gegangen. Die nächsten Tage wurden dann besser.


Meine Highlights
Einer meiner Lieblingstage war der zweite. Wir hatten den ganzen Vormittag Zeit, unsere eigenen Lebensflüsse zu gestalten. Ausgestattet mit Plakaten und Stiften sollten wir unsere eigene Biografie reflektieren und veranschaulichen. Am Nachmittag haben wir uns dann in vertraulichen Kleingruppen mit je einer/ einem der Teamenden unsere Lebensflüsse vorgetragen, Fragen gestellt und Feedback gegeben, was uns z.B. an der Person am meisten beeindruckt. Meine Gruppe saß bis zum Abendessen gemütlich draußen auf Decken. Es war mega interessant, von den anderen Teilnehmenden zu erfahren (Wann erzählen einem Gleichaltrige je ihr ganzes Leben mit all ihren Schwierigkeiten und dem, was sie geprägt hat? Die Situation war schon besonders…), aber auch sehr berührend. Mir ist mal wieder bewusst geworden, dass jede*r sein*ihr eigenes Päckchen zu tragen hat und die Lebensrealität von jedem Menschen verschieden ist. Es war schön, wie wir uns gegenseitig empowert und bestätigt haben, aber auch manchmal in den seichteren Smalltalk abgerutscht sind, um die schweren Themen besser verdauen zu können. Ich fand die Übung und den Austausch mit den Anderen auf jeden Fall super wertvoll und hätte gerne auch noch einmal mit anderen diese Auswertung gemacht.

Ein weiteres Highlight war am Abend des dritten Tages. Meine soziale Batterie war mittlerweile ziemlich leer und ich bin auf dem großen Gelände spazieren gegangen. Im Wald bin ich auf eine andere Freiwillige getroffen und gemeinsam haben wir die wunderschöne Natur und vor allem den atemberaubenden Sonnenuntergang genossen. Das gemeinsame Schweigen, aber auch das tiefe und lange Gespräch war in dem Moment genau das, was ich gebraucht habe, um Kraft und Energie für die nächsten Tage zu schöpfen.


Was mir immer wieder Spaß gemacht hat waren die Pausen zwischendurch. Meist haben wir die Zeit genutzt, um auf der Tischtennisplatte neben dem Seminarraum Rundlauf zu spielen, was jedes mal super lustig war, egal, ob ich mitmachte oder daneben saß und gequatscht oder Armbänder geflochten habe. Zweimal haben wir abends Werwolf gespielt. Es war sehr cool draußen im Dunklen auf Bierbänken zu sitzen, im Hintergrund Gruselmusik mit Wolfsgeheul zu hören und zu rätseln, wer wohl der*die Täter*in war.
Generell habe ich die Freizeit sehr genossen. An einem Nachmittag sind wir zu einem See gefahren und auch vor Ort konnte man in der Natur super entspannen. Ich war überrascht, wie viele Tiere es gab. Ich hatte nicht nur eine Zecke und unzählige Mückenstiche, sondern konnte auch Hasen, Eichhörnchen, Siebenschläfer, Mäuse und Fledermäuse beobachten.



Meine Erkenntnisse
Besonders hilfreich war der Austausch mit meiner Mentorin, die sogar extra aus Ecuador angereist ist und die uns Fragen zu dem Alltag in der Amazonasregion beantworten und aus ihren Erfahrungen berichten konnte. Zudem ist für die letzten Tage die Ehemalige aus dem Pakashka Sacha zu uns gestoßen. Sie ist eine super Liebe und hat all unsere Fragen zur Einsatzstelle und ihrer Zeit dort ausgehalten. Eine meiner großen Erkenntnisse betrifft meine Packliste: Einerseits werde ich Magen-Aufbau-Kuren mitnehmen, andererseits werde ich einiges an Kleidung zuhause lassen. Ich muss leider davon ausgehen, dass Textilien, die ich nicht regelmäßig trage, anfangen könnten zu schimmeln und das, was ich trage, durch meine Arbeit im Regenwald stark beschmutzt und abgetragen wird. Viele Freiwillige in ähnlichen Regionen und Einsatzgebieten haben ihre Kleidung nach dem Jahr entsorgt und gar nicht erst wieder zurück genommen. Meine Lieblingssachen sollte ich also lieber zuhause lassen, auch wenn es mir schwer fällt, da ich mich vor Ort ja auch wohl fühlen will.
Eine andere Erkenntnis kam während des zweitägigen Workshops zu kulturbewusster Kommunikation, welcher von einem externen Referenten geleitet wurde. Der Workshop hat uns auf Kulturschocks vorbereitet, Rassismus thematisiert und vor allem unsere eigene Sozialisierung und die Denkweisen unserer Kultur aufgedeckt und anderen gegenüber gestellt. Was mich sehr überrascht und irgendwie verunsichert hat, war das „Ich“ versus das „Wir“-System, welche unter anderem regeln, wie wir kommunizieren und Probleme ansprechen. Eher geprägt durch das „Ich“-System, ist es für mich normal, Konflikte offen anzusprechen, über Sachen zu diskutieren und sich für Fehler einfach entschuldigen zu können. In dem „Wir“-System jedoch steht das soziale Miteinander und die Wahrung seiner Ordnung viel mehr im Fokus. Auf Höflichkeit wird deutlich mehr Wert gelegt und Konflikte werden nie direkt, sondern über Ecken und/ oder durch die Blume zu der betroffenen Person getragen. Man kann sich nicht einfach selbst entschuldigen, aber man kann versuchen, Fehler wieder gutzumachen. Beide Einstellungen haben Vor- und Nachteile, aber der Wechsel des Kulturkreises von einer zur anderen kann immer wieder zu Missverständnissen führen. Das haben mir einige Beispiele, die wir analysiert haben, sehr deutlich gemacht. In einem „Wir“-System ist es eigentlich vorprogrammiert, dass ich anderen Menschen durch meine direkte Art auf die Füße trete, auch wenn ich es gar nicht böse meine. Die Erkenntnis, dass ich durch eine Entschuldigung oder das Suchen eines Gesprächs die Lage manchmal schlimmer machen kann, hat mich aus dem Konzept gebracht. Ich hoffe, ich kann einiges aus dem Workshop im Hinterkopf behalten und lerne, manche Fettnäpfchen zu vermeiden. Auf jeden Fall waren die beiden Tage sehr spannend und lehrreich.
Der letzte Abend und die Abreise
Am letzten Abend hatte ich Küchendienst und habe beim Kochen, aber vor allem bei dem sehr großen Abwasch geholfen. Danach haben wir eine Passion-Night veranstaltet, bei der einige ihre Leidenschaft vorgestellt haben. Es war echt lustig. Ich bin spontan auch aufgetreten und habe zwei Gedichte von mir vorgetragen. Es war schön, positives Feedback zu bekommen. Anschließend haben wir noch ein Lagerfeuer am Laufen gehabt und den Abend ausklingen lassen. Ich bin noch ewig sitzen geblieben, weil ich nicht wollte, das die Woche schon vorbei ist. Der Abschied am nächsten Tag war echt schwer, gemessen daran, dass wir uns erst seit sieben Tagen kannten. Wir hatten am Tag zuvor Briefumschläge aufgehangen mit unseren Namen drauf, sodass jede*r Zettel mit Komplimenten/ Wünschen für die anderen schreiben und einstecken konnte. Außerdem haben wir alle am Vormittag ein Armband von unseren wundervollen Teamenden erhalten. Beides, die Botschaften der anderen und das Band, sind wunderschöne Erinnerungen an diese sehr intensive Zeit. Ich freue mich schon total, einige der Freiwilligen während unserem Jahr in Ecuador zu besuchen und alle spätestens zum Zwischenseminar wieder zu sehen. Bis dahin wünsche ich uns allen eine gute Ausreise und einen spannenden Start in unseren Einsatzstellen. Bis bald!



