Irgendwo zwischen Visumantrag, Kichwa-Rap und Duolingo-Challenges

Vorbereitungen

Es ist nun schon Juli und in einer Woche beginnt das Vorbereitungsseminar mit den anderen Freiwilligen, die vom IB nach Ecuador versendet werden. Ein bisschen konnten wir uns bereits bei online Workshops kennenlernen und bisher wirkten alle sehr sympathisch, aber die Nervosität bleibt, schließlich werden es die Leute sein, mit denen ich das nächste Jahr verbringe. Vor allem überwiegt aber die Vorfreude, ich glaube, wir werden eine tolle und auch sehr intensive Zeit haben. Bei bisherigen Meetings ging es bereits (neben Organisatorischem) um kultursensible Sprache, Kolonialgeschichte und ihr Erbe sowie um Rassismus, unsere Erwartungen bezüglich dem Freiwilligendienst und unsere Privilegien als weiße1 Person, die im globalen Norden aufgewachsen ist. Viele der Diskussionen und Gespräche waren sehr interessant und ich bin schon gespannt, welche weiterführenden Gedanken die andern Seminarteilnehmenden mitbringen werden.

Mit dem Vorbereitungsseminar rückt auch die Ausreise am 25.08.2024 immer näher. Der Gedanke daran fühlt sich immer noch surreal an, so wirklich vorstellen kann ich mir mein neues Leben in Ecuador noch nicht, ganz egal, wie viel ich recherchiere. Besonders der Fakt, dass ich noch kein Visum habe und es auch bei einigen anstehenden Impfungen schwierig wird, ins Impfmuster passende Termine zu finden, stresst mich sehr. Auf der anderen Seite habe ich schon viele der Vorbereitungen abhaken können: Die Beschaffung all der Dokumente, die für den Visum-Antrag benötigt werden, verschiedene Workshoptage, ein vorbereitendes Praktikum (meins habe ich in der Heinrich-Mann-Grundschule Leipzig geleistet und konnte einiges Spannendes lernen), der Erste-Hilfe-Kurs, die verpflichtende Voruntersuchung durch eine*n zertifizierte*n Tropenmediziner*in, das Starten einer Crowdfunding Kampagne2 und hiermit auch endlich das Erstellen meiner eigenen Website. In den nächsten Wochen kann ich hoffentlich auch das Visum und die Impfungen abhaken und dann geht es schon ans Packen, Verabschieden und Loslassen…

Vorfreude und Nostalgie

Ich habe das große Glück, meine Mitfreiwillige Mara bereits über WhatsApp kennenlernen zu können. Gemeinsam updaten wir uns über unsere Vorbereitungen, tauschen uns bei Fragen aus und freuen uns schon auf die gemeinsame Zeit. Wir sind super aufgeregt und versuchen uns das nächste Jahr gedanklich auszumalen, mit dem Wissen, dass wahrscheinlich sowieso alles anders kommt, als wir es uns vorstellen.

Dadurch, dass ich jetzt mit Schule durch bin, habe ich auf einmal viel mehr Zeit für mich. Meine Tage sind immer gut gefüllt mit ToDo‘s, anstehenden Terminen und auch schönen Dingen wie Freund*innen treffen oder kulturelle Veranstaltungen besuchen. Dennoch nehme ich mein Zuhause und meine vermeintliche „Normalität“ immer bewusster wahr. Der Gedanke, dass ich bald weg sein werde, schwebt immer in meinem Hinterkopf. Ich versuche die letzten Monate noch einmal so richtig zu genießen, aber nehme innerlich schon Abschied von den vertrauten Orten, den alltäglichen Routinen und auch den Menschen hier. Es ist ein bisschen wie Heimweh haben, bevor man überhaupt weg ist. Trotz dieser Nostalgie merke ich auch, wie ich immer öfter nach vorn blicke und es kaum erwarten kann, nach Ecuador zu fliegen und ein neues Lebenskapitel anzufangen. I‘m so excited!

Kleiner Vorgeschmack auf Land und Kultur

Immer, wenn ich mich mehr mit Ecuador beschäftige oder Spanisch übe, wächst meine Vorfreude auf das Land, die Leute, die Kultur und die Sprache dort. Ich versuche öfters Filme und Serien auf Spanisch zu schauen (allerdings noch mit Untertiteln) und übe fleißig mit Duolingo und Babbel (zwei Sprach-Apps). Durch ein paar Recherchen konnte ich ecuadorianische Musiker*innen ausfindig machen und habe einige Songs von ihnen sowie Podcastfolgen zum Spanisch lernen/ über Ecuador auf eine Playlist3 gepackt. Besonders beeindruckt hat mich die Gruppe Los Nin, die Rap mit den Klängen des Andenraums verbindet und sich teils auf Kichwa, teils auf Spanisch mit den starren Vorstellungen der indigenen Kultur und Identität auseinandersetzt und gleichzeitig Kritik an der Regierung ausübt, welche die indigene Bevölkerung Ecuadors weiterhin nur auf dem Papier unterstützt4. Zudem habe ich das einzige Buch einer Ecuadorianerin in der Stadtbibliothek gefunden und fand es sehr spannend. „Porso Wells“ von Gabriela Alemán liest sich ein bisschen wie ein Politik-Krimi und greift viele gesellschaftskritische Themen auf wie z.B. Umweltschutz, die soziale Kluft zwischen arm und reich in Ecuador, der Personenkult um kandidierende Präsidenten, Femizide oder Korruption. Ich bin schon gespannt, welche Musik und Bücher mir während meines Auslandjahres noch so begegnen werden und welchen Ruf eher kritische Stimmen aus Ecuador wie Los Nin oder Gabriela Alemán vor Ort haben bzw. ob sie den Leuten, denen ich begegne, überhaupt ein Begriff sind.

Innerlich schon zum Teil in Ecuador, zum anderen Teil voll im Hier und Jetzt, werde ich hoffentlich die nächsten Wochen einerseits genießen, andererseits produktiv nutzen können. Ich freue mich schon, vom Kennenlernenseminar berichten zu können. Bis dahin!

  1. „Weiß“ und „Weißsein“ bezeichnen ebenso wie „Schwarzsein“ keine biologische Eigenschaft und keine Hautfarbe, sondern eine politische und soziale Konstruktion. Mit Weißsein ist die dominante und privilegierte Position innerhalb des Machtverhältnisses Rassismus gemeint, die sonst zumeist unausgesprochen und unbenannt bleibt. Weißsein umfasst ein unbewusstes Selbst- und Identitätskonzept, das Weiße Menschen in ihrer Selbstsicht und ihrem Verhalten prägt und sie an einen privilegierten Platz in der Gesellschaft verweist, was z.B. den Zugang zu Ressourcen betrifft.
    Quelle: https://www.amnesty.de/glossar-fuer-diskriminierungssensible-sprache ↩︎
  2. Die Kampagne läuft noch, ihr könnt mich sehr gerne unterstützen! Hier der Link: https://www.betterplace.me/weltwaerts-dienst-im-ecuadorianischen-regenwald ↩︎
  3. Falls ihr mal reinhören wollt: https://open.spotify.com/playlist/3ruQH1E55CfakBP20gZYeQ?si=g1I5q8ymQCqMXZnNUTeAaQ&pi=e-EtTvZg5ER0GJ ↩︎
  4. Es gibt auch einen interessanten Artikel über die Gruppe. Falls ihr euch auch reinlesen wollt, findet ihr hier den Link: https://www.npla.de/thema/kultur-medien/mit-kichwa-rap-gegen-ungleichheit-und-starre-vorstellungen-von-identitaet/ ↩︎